Tod eines Straßenmusikers

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Mein Kumpel Steve ist tot. Steve Petitpas war die tragende Säule der Montrealer Straßenmusikerszene. Ein begnadeter Gitarrist mit einer wuchtigen Stimme und einem Repertoire, das in seiner Größe nur noch von seinem guten Herzen übertroffen wurde.

Dass ihn am vorigen Sonntag ausgerechnet dieses große Herz von einer Sekunde auf die andere im Stich gelassen hat, ist eine Tragödie nicht nur für Steves Angehörige, dich ich gestern Abend bei einer „Celebration of Life“ kennenlernen durfte. Die Montrealer „Busker“-Szene verliert mit Steve Petitpas einen ihrer besten Musiker. Der Mann mit Hut wurde nur 56 Jahre alt.

Der Straßenmusiker starb nicht auf der Straße. Ein Herzinfarkt riss ihn nachts beim Teekochen in seiner bescheidenen Wohnung im Stadtteil St. Henri aus dem Leben.

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Steve in der Rue St.-Paul.

Es muss der Sommer des Jahres 1990 gewesen sein, als mir Steve Petitpas zum ersten mal aufgefallen ist. Da wippte einer von einem Fuß auf den anderen und rockte, damals noch mit einem Sidekick namens Mick, den Place Jacques-Cartier, drunten am Alten Hafen. Ein langer Kerl mit langer Mähne und dem breiten Lächeln des unbekümmerten Sunnyboy. Einer, der immer, je nach Lebenssituation, entweder ein paar Pfund zu wenig oder aber zu viel auf den Rippen hatte.

Er rockte wie Elvis und schnulzte wie Paul Anka. Und wenn jemand Lady Gaga von ihm hören wollte, war auch das kein Problem für ihn. Kein Beatles-Song, den er nicht kannte, kein Stones-Lied, das er nicht virtuos vortrug. Manchmal machte er sich einen Spaß daraus, wunderbare Harmonien während des Vortrags mit schrägen Tönen zu verschandeln, einfach so.

Warum er das mache, wollte ich einmal von ihm wissen, zum Beispiel bei „Yesterday“, das ja von Haus aus so schön ist, dass es keinen schrägen Ton verträgt. „Just for the hell of it“, sagte Steve dann.

Ein Free Spirit, dem vieles egal war und doch nicht alles wurscht.

Er hasste Ungerechtigkeit, Bürokratie und vor allem verabscheute er Donald Trump. Alle drei hätten seiner Meinung nach in einen Sack gehört – und dann draufhauen mit dem Knüppel. Warum ihm die Stadtverwaltung plötzlich ein genau vorgeschriebenes Zeitfenster aufbrummte, in dem er zu spielen hatte, konnte er nie nachvollziehen. Keiner der anderen Montrealer Street Performer übrigens auch nicht.

Als jemand, der sich als Teenager selbst seine Roadtrips mit Straßenmusik

herbert

Busker Bopp, Stuttgart, 1970

finanzierte, hatte ich von Anfang an einen guten Draht zu Steve. Ich erzählte ihm von meinen Gigs in Paris und Bologna und Marseille und Madrid und wie ich damals mit meiner Wandergitarre oft einen Instrumentenkoffer voller Münzen und Scheine erspielte.

Steve wiederum brachte mir seine Welt nahe, die Welt des Montrealer Buskers. Es war nicht immer ein leichtes Leben, gerade in einer Stadt wie Montreal, wo der Sommer manchmal erst anfängt, wenn der Kalender schon hurtig dem Winter entgegen geht.

Als ich gestern Abend mit Peter Snow, einem befreundeten Straßenzauberer, zur Steves „Celebration of Life“ zum Südufer des St.-Lorenz-Stroms gefahren bin und wir stundenlang in der rush hour steckten, gedachten wir eines Mannes, der mit seinem Wortwitz, auch mit seiner Mimik, nie erwachsen werden wollte.

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Eintrag ins Kondolenzbuch: Der Magier Peter Snow.

Dass Steve Petitpas viel mehr war als ein Straßenmusiker (der übrigens einen perfekten Uni-Abschluss hatte), erzählte mir gestern Abend sein Bruder Randy. Steve habe Tausende Manuskriptseiten an Essays, Prosa und Gedichten hinterlassen.

Nichts davon ist je veröffentlicht worden. Auch das war Steve Petitpas.

Ein Showman, dessen Bescheidenheit ihn möglicherweise von einer großen Künstlerkarriere abgehalten hat.

Einen früheren Blogpost über die Busker-Szene in Montreal gibt’s   >> HIER <<